In der Weihnachtsausgabe wollen wir Ihnen in der Rubrik Hack-Meck ein besonderes Thema liefern. Es geht heute um das Thema DFÜ und Kirche. Zuerst möchte ich aber die Geschichte erzählen, durch die ich auf dieses Thema gekommen bin: Beim "herum- stöbern" in deutschen Mailboxen stieß ich in einer Box auf ein Brett mit dem Namen "Jesus on line". Der Titel dieses Brettes hat mich nicht schlecht er- staunt, ist dieses Thema doch in gewisser Weise unge- wöhnlich. Eine Anfrage beim Sysop schaffte Klarheit. Das Brett wird von einem Pfarrer betreut. Weiter stellte sich heraus, daß jener Pfarrer zwischenzeit- lich eine eigene Mailbox gegründet hatte. Nachdem mir der Sysop auch noch die Rufnummer gegeben hatte, ließ ich es mir natürlich nicht nehmen, gleich in dieser, mir bislang unbekannten Mailbox anzurufen. Die erste positive Eigenschaft war, daß die Box auch schon beim ersten Anruf abhob und ich mich nicht erst durch den bekannten "Besetztzeichendschungel" des abendlichen DFÜ-Geschehens kämpfen mußte. Die "Jesus on line" oder auch kurz JOL-Mailbox meldet sich nach erfolgreichem einloggen mit einem Spruch wie "Ich glaube an Gott und Gott an mich, sonst wäre ich nicht online." Nach dieser Einleitung wird wie gewöhnlich zu einer Username- und Paßwortabfrage verzweigt. Auch die son- stigen Merkmale anderer Mailboxen sind vorhanden: Persönliche Fächer und öffentliche Bretter. Jörn Radek, der Sysop der JOL, erklärte uns, wie man als Pfarrer zur DFÜ kommt: "Ich bin jetzt 35 und seit ca. 8 Jahren Pfarrer. Mit 29 entdeckte ich die Baßgitarre und mit 31 den Compu- ter. Zuerst spielerisch und mühsam mit einem 32K- DRAGON, später professionell mit einem PC samt Fest- platte und jetzt außerdem auf einem AT. Und irgend- wann war es mir zu wenig, nur meine Predigten auf der Kiste zu schreiben. Ich begann in den Mailboxen der Umgebung anzurufen. Klaus von der PC-INFO richtete mir ein eigenes Brett ein, und siehe da, über 90 % der User interessierten sich für meine Beiträge." "Und wie sind Sie dann darauf gekommen, eine eigene Mailbox zu betreiben", wollten wir wissen. "Nun, durch den Kontakt zu einigen Mailboxen ergab es sich, daß ich natürlich auch viel mit den Usern in diesen Boxen zu tun hatte. Ich schickte z.B. Predig- ten, Gedichte, Veranstaltungshinweise und Fragestel- lungen aus meiner Praxis in die Bretter. Gerade die sich daraus ergebenden Diskussionen brachten eine Menge interessanter Auseinandersetzungen. Das ging sogar bis hin zur Seelsorge. Sysops aus dem Heidel- berger Raum, Karlsruhe, bis Köln hin zogen meine Bei- träge in ihre Boxen - was ich gut fand. Nur brachte das mit sich, daß ich mich überall auch noch mit den Usern auseinandersetzen sollte. Das wurde mir neben meiner Arbeit im Pfarramt zuviel und auch zu teuer. Deshalb schränkte ich meine Beteiligung ein und über- legte andere Wege. Mittlerweile war ich mit Frau, drei Kindern, Hund und Katze aufs absolute Land umgezogen. Keine Mailbox weit und breit! Also reifte die Idee einer eigenen Mailbox mit Netzwerkanschluß, der den Einzugsbereich auf ganz Deutschland erweitert. Gedacht - getan, trotz Veto meiner Frau und unver- ständigem Lächeln meiner Kollegen. Ein Name war auch gleich gefunden: JOL = Jesus on line." MD64: "Das klingt ja alles sehr interessant. Ist die JOL eine reine 'Pfarrerbox' oder gibt es auch andere User?" Sysop: "Die JOL will Forum sein für die Auseinander- setzung und das Gespräch zwischen kirchennahen und kirchenfremden Usern. Es sind auch Atheisten einge- tragen, mit denen ich einen sehr fruchtbaren Kontakt pflege. Die JOL ist offen für jedermann und jede The- matik, hat aber zum Ziel, gerade kirchlichen Mitar- beitern zu helfen, ihre Arbeit vorzustellen und zu diskutieren." MD64: "Böte sich durch dieses Medium nicht die Mög- lichkeit, allgemein Computer und DFÜ in die Arbeit der Pfarrer bundesweit einzubeziehen? Wie reagieren denn die Vorgesetzen auf eine solche Neuerung?" Sysop: "Leider haben meine Vorgesetzten noch nicht den rechten Sinn für das, was hier möglich ist. Aber ich betreibe die JOL auch lieber privat, selbst wenn es mich ein paar Mark kostet. So bleibe ich unabhän- gig und frei." MD64: "Was gibt's denn technisches zu der Mailbox zu sagen?" Sysop: "Die Mailbox läuft auf einem PC 20-II von Com- modore mit 20 MB Harddisk. Online ist sie erst seit 1. Oktober 1988. Deswegen sind auch noch nicht viele User eingetragen. Momentan habe ich kaum mehr als 10 Anrufer pro Nacht. Online ist die Box ünbrigens von 20 bis 6 Uhr früh. Die JOL ist an das Zerberus-Netz angeschlossen (wir berichteten über dieses Netz in der letzten Ausgabe, Anm. d. Red.), sie ist also bundesweit in vielen Zerberus-Mailboxen durch das Brett /Z-NETZ/KIRCHE zu erreichen." MD64: "Bleibt einem als Pfarrer und Sysop dann über- haupt noch Zeit für andere Beschäftigungen? Haben Sie sonst noch Hobbys?" Sysop: "Da ich meine DFÜ-Tätigkeit ja jetzt weitge- hend auf meine eigene Mailbox beschränken kann, habe ich sogar wieder mehr Zeit für meine Hobbys und meine Familie. Viele Leute stellen sich ja unter einem Pfarrer nur einen Mann in schwarzer Kutte vor, der außer seiner Arbeit nichts anderes im Sinn hat. Aber der Beruf des Pfarrers ist eben auch nur ein Beruf. Natürlich habe ich auch noch andere Hobbys, die man sich sicher auch nicht bei einem Pfarrer vorstellen kann. Bis vor einem Jahr spielte ich E-Baß in einer Rockband. Außerdem bin ich interessiert an Motorrad- fahren, Fotografie, qualitativ hochwertiger Musik verschiedenster Richtungen und habe wie schon gesagt eine Familie mit drei Töchtern, Hund, Katze und einige Siebenschläfer im Keller." MD64: "Wie kann man denn die Mailbox erreichen?" Sysop: "Ich freue mich über jeden, der den Weg hier- her findet. Die JOL ist zu erreichen unter der Tele- fonnummer 06753 - 5407. Von 20 bis 6 Uhr." MD64: "Wir bedanken uns für dieses Interview."